„Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die Armut in Deutschland“ - Eine Rezension
„Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die Armut in Deutschland“ von Nadja Klinger und Jens König |
Klinger, Nadja / König, Jens (2006): Einfach abgehängt. Ein wahrer Bericht über die Armut in Deutschland. Berlin: Rowohlt Berlin Verlag, ISBN 13: 978 3 87134 552 4, 258 Seiten, 14,90 Euro
Nadja Klinger und Jens König, beide bereits einschlägig als AutorInnen bekannt, haben für ihr Buch Menschen porträtiert, die aufgrund ihrer Armut „einfach abgehängt“ wurden. Ihr Anliegen war es, Betroffene sichtbar zu machen: In den Geschichten wird berichtet über Arbeitslosigkeit, Schulden, gesundheitliche Probleme, Stigmatisierungen, Knast- und Gewalterfahrung, Schulversagen und die Unverschämtheit und Übergriffigkeit mancher BehördenmitarbeiterInnen. Wir lesen über gesellschaftliche Abstiege, aber auch über Menschen, die noch nie eine Chance in dieser Gesellschaft hatten.
In ihren Zwischentexten fordern die AutorInnen eine „Haltung von Empörung“ (S. 32) und beklagen den „eklatante[n] Mangel an sozialer Empathie“ in unserer Gesellschaft (S. 29). Sie benennen die wachsende Armut in Deutschland – einem der reichsten Länder überhaupt – als Skandal und präsentieren neben den anrührenden und nachdenklich machenden Geschichten eine präzise und parteiliche Analyse der heutigen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Die erschreckenden Zahlen und der aktuelle Forschungsstand zu Armut und sozialer Ungleichheit sind sehr gut recherchiert, und die AutorInnen räumen ganz nebenbei mit den vielen Vorurteilen gegen Arme auf (es sind eben nicht die Armen, die die dicken Autos fahren und die ganze Wohnung mit hochwertiger Technik vollgestellt haben!). Dabei drehen sie den Spieß um und klagen den Sozialstaat an, denn der „selbst ist also eine Quelle von Ungerechtigkeit, er kann soziale Schieflagen verstärken“ (S. 198). Vieles macht sich in ihrer Analyse fest an den sogenannten Sozialreformen. So konstatieren sie letztendlich, dass die alte Bundesrepublik mit Hartz IV zu Ende ging (S. 89), und auch die Porträts belegen dies eindringlich. Die AutorInnen unterschlagen damit etwas, dass es Armut in der Bundesrepublik Deutschland auch vor Hartz IV gab, aber das „moderne Überlebensprogramm“ (a.a.O.) macht deutlich, dass der Sozialstaat die Risiken nunmehr fast vollständig auf die BürgerInnen abgewälzt hat. Oder, wie Gerhard Schröder 2003 zitiert wird: „’Niemand wird es künftig gestattet sein’ (…) ‚sich zu Lasten der Gesellschaft zurückzulehnen’.“ (a.a.O.)
In den Geschichten wird aber nicht nur über das Elend berichtet, arm in einem reichen Land zu sein. Wir lesen auch über den unbeugsamen Willen, nicht aufgeben zu wollen. Über Hoffnungen, nachgeholte Schulabschlüsse, ehrenamtliche Arbeit und Glücksfälle unter den professionellen HelferInnen. Weil das individuelle Glück allein aber die Armutsspirale nicht aufhalten kann, fordern die AutorInnen, Armutspolitik als Querschnittsaufgabe zu begreifen und machen dazu eine ganze Reihe von konkreten Vorschlägen.
Ein wichtiges und engagiertes Buch, dem ich viele LeserInnen wünsche.
Susanne Gerull, Dezember 2007