Hannas Geschichte - Ergebnis eines Interviews
Die 27-jährige Hanna lebt in einem Bauwagen in einer Kleinstadt in der Nähe von Berlin. Ihre ca. 6 qm große Unterkunft auf dem Hinterhof eines ehemalig besetzten Hauses teilt sie sich mit ihrem Mischlingshund.
Hannas Bauwagen, der auf dem Hinterhof eines ehemals besetzten Hauses steht |
Im Alter von 16 Jahren verließ Hanna ihr Elternhaus, um ihre Abenteuerlust in der Großstadt Berlin auszuleben. Dort zog sie in ein besetztes Haus und verbrachte viel Zeit auf der Straße.
Küche des ehemals besetzten Hauses. Diese wird von Hanna mitbenutzt. |
In diesem Milieu kam Hanna mit Alkohol und Drogen in Kontakt, woraus sich eine Alkoholabhängigkeit entwickelte. So war es ihr auch nicht möglich, den Hauptschulabschluss zu machen.
In Berlin lernte sie ihren damaligen Freund Paul kennen. Da Hanna zu diesem Zeitpunkt bereits genug hatte von dem viel zu schnellen und lauten Großstadtleben, zögerte sie nicht lange und zog mit Paul auf's Land. Sie lebten dort für einige Zeit im Haus seiner Eltern. Aufgrund des stabilen Umfeldes, welches sie hier vorfand, gelang es Hanna, ihre Alkoholabhängigkeit in den Griff zu bekommen.
Die Beziehung zu Paul begann zu kriseln und Hanna entschied sich, wieder in ihre Heimatstadt zurückzukehren.
Dort angekommen, zog sie in "das besetzte Haus" der Stadt. Unter ihrer Mitwirkung gründete sich ein Verein, der beispielsweise eine wöchentliche Volksküche organisierte sowie Kreativangebote anleitete. Diese Veranstaltungen sollten dazu dienen, jungen Leuten einen Ort zu bieten, an dem sie sich ausprobieren und GesprächspartnerInnen finden können. Diese Möglichkeiten wurden sehr gut angenommen und nach mehreren Anfragen war die Kleinstadt bereit, diese Wohnform und ihre Projekte zu unterstützen.
Ein neues Haus wurde bezogen und es gab öffentliche Hilfen für die Sanierung des baufälligen Gebäudes. Die Bewohner brachten eine Menge Eigenleistung, um ihr Haus bewohnbar zu machen.
Die Stadt setzte den jungen Menschen einen Sozialarbeiter ins Haus, mit dem anfänglich alle ganz gut klar kamen. Doch als der Drogenkonsum über das gewohnte Haschisch hinauszugehen begann und auffiel, dass der Sozialarbeiter selbst im Haus mit Drogen handelte, musste reagiert werden. Nach einigem hin und her wurde er gekündigt. Nun ist das Projekt seit zwei Jahren ohne pädagogische Hilfe und laut Hanna läuft es seitdem viel besser. Die Polizei sei nur noch selten zu Gast, und wenn, dann nur, um sich nach dem Aufenthaltsort des ehemaligen Sozialarbeiters zu erkundigen, da dieser noch immer gesucht wird. Hanna selbst sehnt sich danach, endlich ausbrechen zu können, um ihren Traum zu verwirklichen.
Sie möchte als Schäferin arbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sie jedoch noch einige Steine auf ihrem Weg beseitigen. Sie benötigt zwei unbezahlte Praktika, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Da sie in dieser Zeit weiterhin laufenden Kosten hat, versucht sie Unterstützung vom Sozialamt zu bekommen. Die Aussichten darauf sind momentan nicht sehr positiv, da Sozialhilfe nur bewilligt wird, wenn Hanna stetiges Bemühen um einen Arbeitsplatz nachweisen kann. Während eines unbezahlten Praktikums ist es ihr nicht möglich zu arbeiten.
Im Augenblick verfügt Hanna über keine geregelten Einkünfte und lebt oft von der Hand in den Mund. Sie hat eine monatliche Pacht von zwanzig Euro für ihren Bauwagenstellplatz zu entrichten sowie eine Beteiligung an den Strom- und Wasserkosten des Hauses.
Glücklicherweise hat Hanna einen relativ guten Kontakt zu ihrer Familie. Ihre Mutter übernimmt seit kurzem die Kosten für die Krankenversicherung, welche eine Zeit lang gar nicht vorhanden war.
Ihre Oma unterstützt sie auch finanziell sowie durch warme Mahlzeiten. Hanna selbst verdient sich etwas Geld, indem sie kleinere Näharbeiten für FreundInnen und Bekannte übernimmt. Des Weiteren versucht sie einen Nutzen aus ihrer Liebe zur Natur zu ziehen und sammelt Kräuter, um verschiedene Tees herzustellen und diese zu verkaufen.
Ihr ist bewusst, dass sie ein "von der Gesellschaft in Frage gestelltes Leben" führt. Sie hat in der Vergangenheit oft versucht, ein "geregeltes" Leben zu beginnen. Mehrmals bemühte sie sich, den Hauptschulabschluss nachzuholen. Sie hoffte ihre Leidenschaft für die Natur in dem Beruf der Landschaftsgärtnerin ausleben zu können, musste jedoch nach kurzer Zeit feststellen, dass diese Arbeit nicht ihren Idealen entspricht.
Schon bald wuchsen Hannas finanzielle Probleme und sie sah sich gezwungen, den erstbesten Job als Kellnerin anzunehmen. So folgten mehrere Kurzzeitbeschäftigungen, unter anderem auch in einer Großbäckerei, die Hannas Überleben für den Moment vereinfachten, jedoch in keiner Weise ihren Fähigkeiten und Wünschen entsprachen. So versuchte sie sich in einem Fernstudium als freie Schriftstellerin. Dieses Studium brachte Hanna aus persönlichen Gründen nie zu Ende.
Heute ist Hanna nicht mehr gewillt, den Anforderungen der Gesellschaft zu entsprechen. Sie verfolgt nur noch ihr größtes und einziges Ziel, den Menschen zu entfliehen und im Einklang mit der Natur als Schäferin zu arbeiten. Im Vordergrund steht dabei nicht der finanzielle Aspekt eines geregelten Einkommens, sondern der ideelle, welcher ihren Träumen und Wünschen entspricht. Hanna hat die Absicht in Zukunft nur noch das zu tun, was sie glücklich macht.
Auf unsere Frage, ob sie sich arm fühle, entgegnete sie: "Arm sind die Menschen, die überlegen, sich ein zweites Auto leisten zu können. Ich selbst lebe zwar oft von der Hand in den Mund, aber ich bin glücklich."
Nadine Greguletz
Susann Mücke
(Werkstatt "Armutszeugnisse", SoSe 03, WiSe 03/04)