„Die dritte Haut. Geschichten von Wohnungslosigkeit in Deutschland“ - Eine Rezension
Panier, Katrin (2006): Die dritte Haut. Geschichten von Wohnungslosigkeit in Deutschland. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf, ISBN 3-89602-711-5, 320 Seiten, 9,90 Euro
Katrin Panier hat nach ihren bisherigen Veröffentlichungen zu ausländischen Jugendlichen und inhaftierten Frauen 20 Menschen zu Wort kommen lassen, in deren Lebensgeschichten Wohnungslosigkeit eine Rolle gespielt hat. Der Titel des Buches geht auf den Maler Hundertwasser zurück, der dem Menschen drei Häute nachsagte: neben seiner natürlichen Haut und seiner Kleidung sei eine davon die eigene Wohnung. Genau diese dritte Haut hat den im Buch vorgestellten 20 Menschen gefehlt, sei es nur für kurze Zeit oder auch lange Jahre.
Die Autorin lässt – neben zwei ExpertInnen – die (z. T. ehemals) Wohnungslosen selbst zu Wort kommen. 12 Monate lang hat sie Interviews, nein, nennen wir es lieber Gespräche, mit Männern, Frauen und Pärchen geführt, die ehrlich und zum Teil schonungslos Auskunft gegeben haben über ihre Lebensgeschichte und die vielen Stolpersteine darin. So unterschiedlich die Geschichten berichtet wurden, so unterschiedlich blieben sie auch im Buch bestehen, das Katrin Panier mit tagebuchartigen Zwischentexten über ihre eigenen Gefühle und Erlebnisse ergänzt hat.
Der ehemalige Schiffer Günther, die im Bravo-Stil berichtende Denise, die Schnipplerin Amy, der frühere Wachschützer Friedrich, das Junkiepärchen Tamara und Norman, der Ex-Knacki Norbert und der schon mit 17 Jahren Vater gewordene Fredi – sie und viele andere erzählen von zerrütteten Familien, Gewalterfahrung, legalen und illegalen Drogen, Knastaufenthalten und dem harten Leben auf der Straße. Sie berichten aber auch über Liebe, Erfolge und erlebte Unterstützung, über die nicht endende Hoffnung, es doch noch zu schaffen. Von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe, die sie aufgenommen haben, obwohl sie gerade den dritten Rückfall gebaut haben, von Nachbarn, die ihnen Essen in die illegal bewohnte Laube gebracht haben und von der Freiheit, die ein Leben ohne Wohnung – wenigstens vorübergehend – auch bedeuten kann.
Katrin Panier hat kein Fachbuch geschrieben, aber gerade dies macht „Die dritte Haut“ so spannend und empfehlenswert auch und gerade für den interessierten Laien. Wer schon immer einmal etwas über das Leben auf der Straße und in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe wissen wollte, wer bereit ist, sich eigene Vorurteile (auch positiver Art!) über Wohnungslose einzugestehen und sie zu überprüfen, der sollte sich dieses (preiswerte) Buch zulegen. Aber auch Profis aus der Wohnungslosenhilfe werden Einblicke in die Lebensgeschichten von Menschen ohne Wohnung gewinnen, die sie aufgrund ihres Arbeitsauftrags in ihrer täglichen Arbeit so nicht erhalten können. Dabei ist es völlig unerheblich, ob sich diese Geschichten tatsächlich genauso zugetragen haben, wie sie Katrin Panier berichtet wurden oder ob die Vergangenheit an manchen Stellen „passend“ gemacht wurde, um besser mit der eigenen Geschichte klarzukommen.
Dieses Buch hat wahrlich viele LeserInnen verdient.
Susanne Gerull, Juni 2006